Ergebnisse
Erste Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Junge Menschen in Deutschland 2022“
Die Studie „Junge Menschen in Deutschland“ (JuMiD) ist Bestandteil des Forschungsprojektes MOTRA an der Universität Hamburg, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie dem Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) gefördert wird. Mit dieser Studie wird untersucht, wie Jugendliche und junge Erwachsene die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation in Deutschland wahrnehmen. Im Mittelpunkt stehen Fragen zu ihren Einschätzungen der Probleme und Herausforderungen der heutigen Zeit und welche Folgerungen sie für sich daraus ableiten. Dazu finden regelmäßige, im Abstand von zwei Jahren wiederholte Online-Befragungen in ganz Deutschland statt, in denen über 3 000 junge Menschen im Alter von 16 bis 21 Jahren zu Wort kommen. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der ersten Welle dieser Studie vorgestellt, die von Ende März bis Anfang Juni 2022 durchgeführt wurde. |
Junge Menschen in Deutschland 2022 – Wer sind die Teilnehmer*innen? 1
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1 Alle Auswertungen wurden mit gewichteten Daten durchgeführt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Einwohner*innen Deutschlands im Alter von 16 bis 21 Jahren. Informationen zu Rücklaufquote und Gewichtungsverfahren finden sich im Forschungsbericht No. 5, der online verfügbar ist unter: https://www.jura.uni-hamburg.de/die-fakultaet/professuren/kriminologie/media/uhh-forschungsbericht-5.pdf |
Sorgen angesichts aktueller politischer Konflikte und gesellschaftlicher Herausforderungen
Es ist wenig überraschend, dass ein großer Teil der jungen Menschen im Jahr 2022 große Sorgen angesichts der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland, aber auch in der Welt insgesamt äußert. Dies betrifft vor allem Sorgen wegen des Klimawandels und dessen Folgen, aber auch Sorgen wegen drohender Armut aufgrund von Wirtschaftskrisen sowie über mögliche Kriegsbeteiligungen Deutschlands und in Bezug auf ein Andauern der Corona-Pandemie sind sehr verbreitet. Sorgen dieser Art wurden von über 60% bis über 80% der jungen Befragten geäußert. Am bedeutendsten waren dabei für die Befragten die Folgen des Klimawandels, worüber 43,4% sehr besorgt sind. Sehr besorgt darüber, dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen werden könnte oder dass Wirtschaftskrisen zu mehr Armut führen, war jeweils etwa ein Drittel.
Demgegenüber ist mit 27,2% der Anteil derer, die über ein Andauern der Corona-Pandemie sehr besorgt sind, deutlich geringer. Die Zuwanderung von geflüchteten Menschen nach Deutschland bereitet den jüngeren Menschen im Vergleich dazu deutlich seltener Sorgen; starke Besorgnisse nennen hierzu nur 7,9%. Offenkundig ist die Zuwanderung nach Deutschland für die große Mehrheit der jungen Menschen und deren Lebenssituation kein für sie persönlich beunruhigendes Phänomen.
Der aktuelle Krieg in der Ukraine, der kurz vor Beginn der Befragung begonnen hatte, wird von den jungen Menschen ebenfalls mit großer Besorgnis beobachtet. Hier vermuten viele Befragte erhebliche Konsequenzen, die dieser Krieg für das Leben in Deutschland haben könnte. Am stärksten verbreitet ist mit 68,3% die Sorge, dass es wieder zu einem „Kalten Krieg“ zwischen Russland und dem Westen kommen könnte. Mehr als die Hälfte (54,6%) befürchtet, dass Deutschland oder die NATO von Russland angegriffen werden könnten. 45,3% befürchten, dass es in Europa zu einem Atomkrieg kommen könnte. Ähnlich groß ist die Sorge über ein Zusammenbrechen der Energieversorgung in Europa.
Erlebter Handlungsdruck und Bereitschaft zu persönlichem Engagement
Diese Sorgen im Zusammenhang mit aktuellen politischen Veränderungen und Herausforderungen auf nationaler und internationaler Ebene gehen bei den befragten jungen Menschen mit dem Erleben eines großen Handlungsdrucks einher. 82,2% sind der Ansicht, dass in unserem Land dringend etwas geändert werden muss. Mehr als ein Drittel (37,6%) stimmt dieser Aussage völlig zu. Ähnlich hoch ist mit 86,1% die Zustimmung zur Aussage „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es zu spät sein“. Völlige Zustimmung äußern hier 47%. Damit empfinden die 16-21-Jährigen mehrheitlich einen erheblichen Zeitdruck mit Blick auf gesellschaftlich notwendige Veränderungen. Die große Mehrheit der jungen Menschen macht außerdem deutlich, dass sie nicht bereit sind zu warten, bis alle verstanden haben, dass etwas geschehen muss (Gesamtzustimmungsrate 74,6%). 58,4% sehen eine Notwendigkeit selbst zu handeln, weil die meisten anderen ihrer Ansicht nach gegenüber den vorhandenen Problemen gleichgültig sind.
Dieser wahrgenommene Problem- und Handlungsdruck geht mit einer hohen Bereitschaft einher, sich selbst politisch oder sozial zu engagieren. Mehr als die Hälfte der Befragten ist bereit, in Zukunft an Demonstrationen teilzunehmen. Ein ehrenamtliches Engagement kommt für zwei Drittel der Befragten in Betracht. Veränderungen der persönlichen Lebensführung, hier anhand der Bereitschaft zur Umstellung der eigenen Ernährung erfasst, käme für 69,9% in Frage.
Wahrnehmung von Staat, Politik und gesellschaftlichen Institutionen
Dem erlebten Problem- und Handlungsdruck und der eigenen Handlungsbereitschaft steht eine eher kritische Haltung gegenüber staatlichen Institutionen und Entscheidungsträgern in Politik und Gesellschaft gegenüber. Mehr als ein Drittel (34,8%) stimmt der Aussage völlig zu, dass die Entscheidungsträger in unserem Land nur reden, aber die Probleme nicht lösen. Die Gesamtzustimmungsrate liegt hier bei 82,1%. Fast ein Viertel stimmt der Aussage völlig zu, dass die gesellschaftlichen Entscheidungsträger unfähig sind, die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen (Gesamtzustimmungsrate 71,2%). Speziell mit Blick auf die Probleme der jungen Leute sind 73,8% der Meinung, dass die Entscheidungsträger in unserem Land sich dafür nicht interessieren. Mit 24% stimmt dieser Aussage knapp jede*r Vierte völlig zu.
Mit dieser recht skeptischen Einschätzung der gesellschaftlichen Entscheidungsträger übereinstimmend zeigt ein großer Anteil der jungen Menschen wenig bis gar kein Vertrauen in politische Institutionen und staatliche Akteure. Auf einer Skala von 1 (überhaupt kein Vertrauen) bis 6 (volles Vertrauen) konnten die Befragten hierzu angeben, wie viel Vertrauen in Polizei, Parteien, Regierung und Politiker*innen in der eigenen Stadt oder dem Landkreis haben.
41,8% geben ein hohes Vertrauen in die Polizei an (Kategorien 5 und 6). Das Vertrauen in die Politik ist demgegenüber sehr niedrig. Nur 4,8% haben hohes Vertrauen in die politischen Parteien und mit 12,1% äußern nur geringfügig mehr Personen ein hohes Vertrauen in die Regierung. Ein hohes Vertrauen in Politiker*innen in der Stadt bzw. dem Landkreis wird mit 15,3% von einem ähnlich kleinen Anteil der Befragten angegeben.
Auf der anderen Seite ist die Rate derer, die Politiker*innen aus dem direkten regionalen Umfeld kein oder nur wenig Vertrauen haben (Kategorien 1 und 2) mit 29,4% im Vergleich zu den anderen politischen Entscheidungsträgern deutlich geringer ausfällt. Demgegenüber stehen Anteile von 34,4% bzw. 42,8%, die angeben, sehr wenig bzw. überhaupt kein Vertrauen in die Regierung und die politischen Parteien zu haben.
Wahrnehmungen von gesellschaftlicher Fairness und Wertschätzung
Die Wahrnehmung von Staat, Politik und Gesellschaft in Deutschland wurde in der Studie auch im Hinblick auf Wertschätzung und faire Behandlung eingeschätzt, die solche Menschen, die so sind wie die Befragten selbst, in ihrem jeweiligen Alltag erfahren. Hier zeigt sich erneut, dass politische Akteure mit Abstand am schlechtesten abschneiden. Insgesamt 62,1% der Befragten stimmen der Aussage zu, dass Menschen wie sie selbst „von den Politikern nicht ernst genommen“ würden. Jede*r Fünfte stimmt dieser Aussage sogar völlig zu. Eine unfaire Behandlung durch die Polizei und eine Geringschätzung durch andere Personen nehmen hingegen jeweils weniger als 30% der Befragten wahr.
Das Ausmaß der Verbreitung einer solchen Wahrnehmung von Ungleichbehandlung und Ausgrenzung, die als kollektive Marginalisierung bezeichnet wird, ist stark abhängig davon, welcher Gruppe sich die Befragten selbst zuordnen, was sie also unter der Formulierung „Menschen wie ich…“ verstehen.
Im Ost-West-Vergleich zeigen sich diesbezüglich keine erheblichen Differenzen. Von Politikern nicht ernst genommen zu werden ist in beiden Regionen mit 61,5% bzw. 65,2% der am weitesten verbreitete Marginalisierungsgrund, während eine Geringschätzung durch „andere“ und eine unfaire Behandlung durch die Polizei weniger als halb so oft angegeben werden.
Bei einer vergleichenden Betrachtung junger Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund findet sich die Wahrnehmung einer Geringschätzung durch Politiker ähnlich häufig. In Bezug auf gesellschaftliche und polizeiliche Akteure zeigen sich aber Unterschiede: Personen mit Migrationshintergrund fühlen sich deutlich häufiger von anderen geringgeschätzt (36,6% vs. 23,7%) und von der Polizei unfair behandelt (33% vs. 19,5%) als Personen ohne Migrationshintergrund.
Erleben von Intoleranz und Diskriminierung
Im Hinblick auf die Verbreitung von Intoleranz und Diskriminierung wurden die Teilnehmer*innen unter anderem dazu befragt, wie oft sie in ihrem persönlichen Lebensumfeld selbst miterlebt haben, dass Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft beleidigt oder angegriffen wurden. Fast 80% berichten von solchen Beobachtungen. „Manchmal“ oder „oft“ haben 42,2% dies beobachtet. Insoweit erweist sich die Konfrontation mit Vorurteilen und Formen von Hass und Intoleranz in der Lebenswelt junger Menschen als allgegenwärtig.
Etwas Ähnliches gilt für Hinweise auf antisemitische Ausdrucksformen. So erklären 71,9%, in ihrem persönlichen Lebensumfeld in den letzten 12 Monaten antisemitische Graffiti oder Parolen gesehen zu haben. „Manchmal“ oder „oft“ haben dies 36,5% der Befragten registriert.
Abseits dieser Beobachtungen von Intoleranz oder vorurteilsbehafteter Formen von Kriminalität konnten die Befragten auch angeben, inwieweit sie selbst im Verlauf der letzten 12 Monate Adressaten von Vorurteilen oder Benachteiligungen waren. Gefragt wurde hier danach, wie oft sie sie sich wegen ihrer Ethnie/Nationalität/Hautfarbe, wegen ihrer Religion/ihres Glauben sowie wegen ihres Geschlechts/ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert gefühlt haben.
Am häufigsten wurden Erlebnisse der Diskriminierung wegen des Geschlechts bzw. der sexuellen Orientierung berichtet (44,3%). Wegen Hautfarbe/Ethnie/Nationalität erlebten 34,2% mindestens „selten“ eine solche Form der Ausgrenzung und 19,2% berichten, sie seien wegen ihrer Religion oder ihres Glaubens diskriminiert worden.
Diskriminierungserlebnisse mit Blick auf geschlechtsbezogene Vorurteile bzw. Benachteiligungserfahrungen unterscheiden sich dabei nicht zwischen jungen Migrant*innen und Personen ohne Migrationshintergrund. Migrant*innen, die keiner muslimischen Religion angehören, fühlen sich jedoch etwas häufiger aus diesem Grund diskriminiert als Muslim*innen (30,1% vs. 20,1%).
Deutlicher sind hingegen die Unterschiede mit Blick auf die Diskriminierungsgründe Ethnie/Hautfarbe/Nationalität und Religion/Glaube: Junge Menschen mit Migrationshintergrund erleben häufiger Diskriminierungen wegen ihrer Religion/ihres Glaubens, wobei dies weit überwiegend Personen mit muslimischer Religionszugehörigkeit betrifft. Von diesen geben 43,9% an, wegen ihrer Religion im letzten Jahr diskriminiert worden zu sein.
Noch häufiger wird jedoch in dieser Gruppe von einer Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, Herkunft oder Nationalität berichtet (49%). Bei Migrant*innen, die nicht dem Islam angehören, liegt der Anteil derer, die dies in den letzten 12 Monaten erlebt haben, bei 28%. Bei Personen, die nicht Muslim*innen sind und keinen Migrationshintergrund aufweisen, sind diese beiden Diskriminierungsgründe nur für eine kleine Minderheit relevant.
Einstellungen zu Gleichheitsrechten: Verbreitung von (in-)toleranten Haltungen
Neben subjektiven Diskriminierungserfahrungen wurden die Befragten auch gebeten anzugeben, wie sie selbst zu Formen der Intoleranz, hier erfasst über Aussagen zu Gleichheitsrechten, eingestellt sind.
Die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen spricht sich für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen, von verschiedenen Religionen, von Ausländern sowie von Personen mit verschiedenen Hautfarben aus. Die höchste Zustimmungsrate findet sich mit 96,1% für die Aussage „Menschen sollten nicht aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligt werden“. 92,1% stimmen hier „völlig“ zu. Die Gesamtzustimmung zur Gleichbehandlung von Ausländern bei der Wohnungssuche ist im direkten Vergleich der vier Aussagen am geringsten. Knapp unter 70% stimmen hier völlig zu. Die Gesamtzustimmung liegt mit 89,3% dennoch auf einem sehr hohen Niveau.
Insgesamt zeigen diese ersten Ergebnisse aus der Studie JuMiD 2022, dass Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland sich der Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in ihrem gesellschaftlichen Umfeld sehr bewusst sind. Sie sprechen sich in sehr hohem Maße für die Gleichbehandlung aller Teilgruppen der Gesellschaft aus. In Diskrepanz zu diesem Anspruch nehmen sie jedoch häufig Intoleranz und Diskriminierung in ihrem direkten Lebensumfeld wahr. Besonders hoch ausgeprägt sind die Erfahrungen mit Intoleranz bei Personen mit Migrationshintergrund sowie bei jungen Muslim*innen.
Abseits dessen hat die Mehrheit aller Befragten, unabhängig von ihren Zugehörigkeiten zu bestimmten Teilgruppen, das Gefühl, von Politikern nicht ernst genommen zu werden. Entsprechend skeptisch fällt bei ihnen auch die Beurteilung politischer Akteure in Bezug auf Vertrauen und Kompetenz aus.
Hervorzuheben ist in angesichts der aktuellen Krisen und Herausforderungen, dass junge Menschen ein hohes Maß an Verunsicherung und Sorge ausdrücken. Dies bezieht sich nicht allein auf den Ukraine-Krieg und seine möglichen Folgen, sondern vor allem auch auf die Verunsicherung angesichts des Klimawandels. Der subjektiv erlebte Handlungsdruck ist in diesem Zusammenhang sehr hoch während die Kompetenzen der Entscheidungsträger sehr kritisch gesehen werden. Gleichzeitig findet sich eine hoch ausgeprägte Motivation der jungen Menschen, selbst etwas dazu beizutragen, diese Situation zu verändern.
Dieser subjektiv erlebte Handlungsdruck und die deutlich artikulierten Aktions- und Handlungspotenziale sollten, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der hier aufgezeigten Meinungen, Ansichten, Erlebnisse und Probleme junger Menschendes sowie mit Blick auf deren recht geringes Vertrauen in staatliche Institutionen, sehr ernst genommen und auch in der Praxis aufgegriffen werden.
Dieser kurze Bericht sollte einen ersten Einblick in Fragestellungen und ausgewählte Befunde unserer Untersuchung „Junge Menschen in Deutschland 2022“ geben. Wir möchten diese Gelegenheit auch nutzen, uns bei allen Befragten ganz herzlich für ihre Zeit zu bedanken.
Für Rückfragen kontaktieren Sie gerne unser Team an der Universität Hamburg über |